Intervie von Laura Scherzberg

Während viele ihr Fitnessstudio eher als eine Singlebörse oder als Stammtisch betrachten, so wirkte es für Harald Hense eher wie das zweite Zuhause. Konzentriert trainierte der 28-Jährige fast jeden Tag dort und strahlte gleichzeitig eine große Ausgeglichenheit und einen unvergleichbaren Ehrgeiz aus. Der 1,89 m große Natural Bodybuilder hat auch ein großes Ziel. Aber wie reagiert man im Kraftsport richtig auf die Schließung des Fitnessstudios?

 

 

Hallo Harald! Du hast bis zum letzten Tag vor der Schließung ausgesprochen ehrgeizig im Fitnessstudio trainiert. Was ist dein großes Ziel?
Ich bin Mitglied im GNBF, dem German Natural Bodybuilding & Fitness Federation e.V. Das Ziel dieses Vereins ist das Natural Bodybuilding, wir werden regelmäßig auf Doping kontrolliert. Mir war der gesundheitliche Aspekt besonders wichtig. Ich will ein Zeichen setzen, dass es auch ohne Doping möglich ist, große Ergebnisse zu erreichen. Kraftsport mache ich schon seit acht Jahren. Im Sommer 2019 beschloss ich, dass ich am 9. Mai 2020 an der Internationalen Deutschen Meisterschaft teilnehmen will. Diese wurde Anfang März aufgrund der Corona-Pandemie abgesagt. Ich hoffe, trotzdem bald an einem Wettkampf teilnehmen zu können.

 

Wie oft gehst du sonst pro Woche ins Fitnessstudio und wie lange?
Ich versuche, vier bis fünfmal pro Woche ins Fitnessstudio zu gehen und mache eineinhalb bis zwei Stunden Kraftsport.
Ich bekomme in der Muskelaufbauphase in regelmäßigen Abständen von meinem Trainer Trainingspläne, um immer wieder neue Muskelreize zu setzen. Olaf Mann sagt, der Körper wird in der Massephase gemacht. Zusätzlich mache ich dreimal 30 Minuten Cardio pro Woche. Das ist wichtig, da der Herzmuskel auch trainiert werden muss. Cardio ist wichtig für die Fettverbrennung und den Stoffwechsel.
In der Diät geht es um Muskelerhalt und um den Feinschliff. Hier mache ich mehr Cardio zusätzlich, bis zu viermal 40 Minuten pro Woche.


Am 16.03.2020 beschloss die Bundesregierung, deutschlandweit die Fitnessstudios zu schließen.Wie hat die Covid-19-Pandemie dein Training verändert?
Ein guter Trainer führt dich auch durch schwierige Zeiten. Das macht sich gerade jetzt bemerkbar. Mein Coach Olaf Mann hat mich rechtzeitig vor der Schließung gewarnt und aufgefordert, Equipment zu kaufen. Viele Sachen, die ich bestellen wollte, waren zu dem Zeitpunkt schon vergriffen, da natürlich auch andere Sportler reagiert haben.
Zu meinem Equipment gehören unter anderem Kurzhanteln, Hantelscheiben, eine SZ-Stange und Fitness-Tubes. Unabhängig von Corona habe ich mir einen Crosstrainer gekauft. Mir war es wichtig, weiterhin ein realistisches Ziel zu haben. Für den 9. Mai, also den geplanten Tag des Wettkampfes, habe ich einen Fototermin vereinbart. Das hat mich weiter motiviert.

 

Ist das Training ohne die typischen Geräte vergleichbar mit dem Training im Studio?
Mir ist bewusst, dass ich keinen enormen Muskelwachstum ohne Geräte erreichen werde. In dem Corona-Fitness-Plan von meinem Coach sind viele Übungen, die auf dem eigenen Körpergewicht beruhen, wie Liegestützte, Planks, Superman, Dips am Stuhl und Kniebeuge. Erst konnte ich mich gar nicht dafür begeistern, aber dann hatte ich durch diese Übungen einen unfassbaren Muskelreiz und habe so meine Schwachstellen ausfindig gemacht. Bei den Planks war und ist meine Schwachstelle die Körpermitte.
Das Training war anfangs sehr langweilig und es war schwierig, reinzukommen. Ich merke, dass man sich zuhause länger überwinden muss, um anzufangen. Aber sobald man geistig drin ist, funktioniert das Training super. Und wenn man bei manchen Übungen einen intensiven Muskelreiz spürt, macht alles doch wieder viel mehr Spaß.

 

Welche Nachteile hast du im Gegensatz zum Training im Fitnessstudio?
Da ist vor allem der Grundgedanke: Man kann nicht viel rausholen. Es ist leider nicht so abwechslungsreich und man ist durch den Alltag abgelenkt. Das war allerdings nicht so gut. Im Fitnessstudio hat man deutlich mehr Möglichkeiten und das Training zuhause ist ziemlich monoton dagegen. Und natürlich fehlen mir die sozialen Kontakte.

 

Welche Chancen und Vorteile siehst du im Trainieren ohne Studio?
Zuhause kann man definitiv Schwachstellen suchen und doch noch weitere Muskelreize durch Umstellungen schaffen. Die Chance ist wohl auch, dass man allein ist und sich selbst besser reflektieren kann. Da ist niemand, der mich korrigieren will oder ablenkt und man konzentriert sich auf sich selbst. Es ist schon ein wenig wie Meditation. Gerade in der Diätphase habe ich oft das Bedürfnis nach Ruhe, das ist auch ein Vorteil vom Training zuhause.

 

Kannst du dir vorstellen, auch nach der Öffnung der Fitnessstudios weiterhin zuhause zu trainieren?
Mein Ausdauertraining auf dem Crosstrainer werde ich ab sofort auf zuhause verlegen. Das kann ich so auch mal morgens vor der Arbeit machen. Ansonsten wird es wohl ein Mix, zu 80 Prozent werde ich wieder im Fitnessstudio trainieren und zu 20 Prozent zuhause Sport machen. Man ist durch die Erfahrung für beide Situationen gewappnet. Vielleicht werde ich in späteren Diätphasen auch öfter mal zuhause trainieren.

 

Einige befürchten Umsatzeinbußen der Fitnessstudios, weil viele nun selbst so viele Geräte gekauft haben. Denkst du, diese Sorge ist berechtigt?
Auch wenn sich viele Geräte gekauft haben, bleiben sicher nur 10 Prozent am Ball. Die anderen 90 Prozent fühlen sich einfach sicherer im Fitnessstudio und viele brauchen Rat vom Personal, also auch ihre Ernährungs- und Trainingspläne. Natürlich ist jede Branche von der Krise betroffen, aber ich glaube nicht, dass es große Umsatzeinbußen für die Fitnessstudios gibt.

 

Würdest du auch mit strengeren Auflagen, wie Training mit Mundschutz und Einweghandschuhen sofort wieder ins Fitnessstudio gehen?
Da bin ich bin zwiegespalten. Ich hätte total Lust, ins Fitnessstudio zu gehen, aber ich finde diese Auflagen für den Sport zu extrem. Sie sind absolut berechtigt, aber ich kann mir nur schwer vorstellen, dauerhaft mit Mundschutz und Handschuhen zu trainieren. In dem Falle wäre ich zuhause definitiv produktiver. Es wird wohl wieder ein Mittelweg.

 

Was ist dein neues Ziel?
Mein neues großes Ziel ist die Internationale Deutsche Meisterschaft (GNBF e.V.) im Mai 2021 in der „Classic Physique“. Diese orientiert sich an der „goldenen Zeit“ als
Bodybuilding noch pure Ästhetik war. Arnold Schwarzenegger und Frank Zane sind hier meine großen Idole. Da war der Körper noch ein Kunstwerk, das heißt der Muskelanteil und die Proportionen waren noch äußerst symmetrisch und stimmig. Man orientiert sich dort an den griechischen Schönheitsidealen. Für mich ist Bodybuilding Kunst und Sport in einem und diese Klasse spiegelt das am meisten wider.

Harald im Oktober 2019

Harald im Mai 2020